Ein Plädoyer für Altersleitbilder!

Altersleitbilder können uns helfen eine bedürfnisgerechte Versorgungsplanung im Beziehungsviereck Politik, Senioren, Leistungsanbieter und Fachkräfte zu ermöglichen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.

Die Corona-Maßnahmen haben die Defizite im Versorgungssystem in Deutschland schonungslos aufgedeckt. Während Senioren in vollstationären Einrichtungen über lange Monate eingesperrt wurden und ihre Angehörigen ausgesperrt, konnten Senioren die noch zu Hause lebten, von den Maßnahmen kaum eingeschränkt weiterleben. Der wesentliche Unterschied liegt in der Wohnform, während Senioren im eigenen Wohnraum selbstbestimmt über ihr Leben entscheiden, sind sie in Einrichtungen durch den Heimvertrag vom Betreiber der Einrichtung und dessen Ansichten abhängig, insbesondere von den Zielen und Bedürfnissen des Heimträgers. Das im Bundesteilhabegesetz geregelte Recht auf Teilhabe am öffentlichen Leben für Menschen mit Behinderung wurde ausgehebelt und die Würde des Menschen in vielen Einrichtungen angetastet. Behinderte Menschen wurden rechtswidrig fremdbestimmt. Damit dies in Zukunft nicht wieder vorkommt, benötigen wir regionale Altersleitbilder, damit pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie in eine vollstationäre Einrichtung ziehen. Leitbilder für die Pflege selbst, gibt es in vielen Einrichtungen. Leitbilder für das selbstbestimmte Leben im Alter finden wir dagegen in der Regel nicht. Eine gute Lebensqualität im Alter kann nur in dezentralen Leitbildern beschrieben werden, wenn die individuellen Bedürfnisse verschiedener Personengruppen berücksichtigt werden sollen. Im Wesentlichen sind es drei Bereiche, die für eine gute Lebensqualität im Alter entscheidend sind:

  1. Gesundheit
  2. Freizeitgestaltung
  3. Soziale Beziehungen

Die Lebensqualität und Lebenslänge haben sich durch die Abnahme der Kindersterblichkeit in den letzten 500 Jahren positiv entwickelt. Die Lebenserwartung ist gestiegen und das Sterben hat sich im Wesentlichen auf den letzten Lebensabschnitt verlagert. Vergleichsweise haben wir heute zwei Leben zur Verfügung. Gleichzeitig hat eine „Entchristlichung“ stattgefunden. Viele Menschen glauben nicht mehr, wie unsere Vorfahren, an ein Leben nach dem Tod. Für diese Menschen ist das Leben nicht länger, sondern unendlich kürzer geworden. Hierdurch entsteht ein hoher Stressfaktor, das auf dieses Leben begrenzte Dasein mit Inhalten zu füllen. Wesentlich leichter haben es Senioren, die noch ein ewiges Leben vor sich haben und diesem Stressfaktor nicht ausgesetzt sind.

Altersleitbilder können die unterschiedlichen Erwartungen an die Länge und an die Qualität des Lebens berücksichtigen. Sie dienen deshalb dazu, die Würde des in vollstationären Einrichtungen wohnenden Menschen zu achten. Aufgabe der Politik ist es die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der letzte Lebensabschnitt von allen Personengruppen auch unter Pandemiebedingungen würdig gelebt werden kann.

Hans Martin Konzelmann